Heinrich Sohnrey Archiv

   und Gedächtnisstätte Jühnde

Ländliche Eigenheime


Von Dr. h. c. Gertrud Dyhrenfurth.


Ein Stein wird ins Wasser geworfen, und seine Wellen zittern in Kreisen weit hinaus bis zum Uferrande! Ein Gedanke von Gewicht ist in das flüssige Element des Volkslebens geworfen worden und bewegt es in immer größer werdenden Kreisen. Und derjenige, der den Wurf getan, vermag kaum noch seine Wirkung zu überblicken. So mag es auch dem Urheber der Bewegung gehen, die wir „Ländliche Wohlfahrtspflege“ nennen, unserm hochverehrten Heinrich Sohnrey, den wir zu seinem 70. Geburtstag dankbar feiern wollen. Er kann nicht wissen, an welche verborgene Ufer die von ihm erregten Wasser geschlagen haben. Und so will ich ihm heute von einer kleinen Stelle erzählen, an der ein Gedankenwurf nachwirkt, welcher einst von ihm ausgegangen ist. –

Auf dem Arbeitsgebiet, das sich mit „Innerer Kolonisation“ bezeichnet, steht die Gestalt Sohnreys neben der von Thiel und Sering in vorderster Reihe. Neben dem großen Verwaltungsbeamten, dem großen Volkswirtschaftslehrer, der Pädagoge und Dichter, vor dessen ausschauender Phantasie sich vielleicht am klarsten enthüllte, was dem Leben auf dem Lande durch die moderne Zeitentwicklung verloren ging, und was ihm wiedergegeben werden müsste.

Noch heute ist Sohnrey Herausgeber des „Archivs für Innere Kolonisation“, aus dem alles zu schöpfen ist, was die große Bewegung zu entwickeln und zu fördern vermag. –

Was das Reformwerk zu Anfang des 19. Jahrhunderts versäumt hatte, Vermehrung und Festigung des Bauernstandes und Seßhaftmachung des Landarbeiters, es sollte nachgeholt werden, nachdem offenbar geworden, wie verhängnisvoll diese Unterlassungssünde auf die ganze Struktur unseres Volkslebens gewirkt hatte: einerseits hypertrophische Entwicklung der Großstädte und des Industrieproletariats und andererseits die Entleerung des platten Landes und Verschüttung der Quellen gesunden Volkstums, die dort emporsteigen. –

Man weiß, wie groß die Hemmungen innerer und äußerer Art gewesen sind, die die innere Kolonisation zu überwinden hatte. Erst nach dem Kriege ist es weiteren Kreisen klar geworden, daß sie nicht nur eine soziale, sondern die wichtigste, nationale Frage bedeutet. So daß die Widerstände, die ihr noch entgegenstehen, nur auf finanziellem und technischem Gebiete zu liegen scheinen.

Noch langsamer, als die bäuerliche Siedlung, entwickelte sich die Landarbeitersiedlung, und ein wirklicher Durchbruch ist für sie erst durch die Verordnung vom 4. Juni 1928 erreicht worden. Erst durch diese gesetzliche Maßnahme ist es dem besitzlosen, ländlichen Arbeiter und Handwerker ermöglicht worden, ein Eigenheim zu gründen, das er bei seinem Arbeitsverdienst zu halten vermag, und das nach einem Zeitraum von dreißig Jahren sein freies Eigentum wird.

Schon lange war es mein heißer Wunsch gewesen, den eigenen Gutsleuten die Möglichkeit der Siedlung zu gewähren und ein paar tüchtige, deutsche Familienstämme mit dem Land zu verwurzeln. Doch noch vor zwei Jahren brachte ein Vortrag, den der Regierungsbaumeister von der Schlesischen Heimstätte in unserm Gemeindehause gehalten hatte, den Erweis, daß die Darlehnsgewährung aus öffentlichen Mitteln nicht ausreichte, um ohne erhebliches eigenes Kapital zu bauen; die Zinsen für geliehenes Geld aber übersteigen weit das Einkommen der Landarbeiterfamilie.

Eine Vermehrung der Werkwohnungen war bei dem mangelnden Betriebskapital der Wirtschaft unmöglich. Und so war man auf dem toten Punkte angekommen: Das Landarbeiterproblem war von der Wohn- und Siedlungsfrage aus nicht anzuschneiden.

Was aber hat das Land gegenüber der Stadt an Vorzügen zu bieten, wenn nicht das geräumigere Wohnen in lichten, luftigen Räumen mit dem Auslauf ins eigene Gärtchen für die Kinder?

Sollten alle Erkenntnisse von den Ursachen der Landflucht umsonst gefunden sein, und sich nirgends die Leiter anlegen lassen, die dem tüchtigen, strebsamen Arbeiter eine Möglichkeit des Aufstieges gewährt?

Gewiß, die Staatshilfe von heute hat es in der Vergangenheit nie gegeben; jedoch der billige Friedenszinsfuß ermöglichte es früher, wenigstens in den schlesischen Dörfern, manchem sparsamen Ehepaar, eine der Häuslereien zu kaufen, die jetzt immer mehr verfallen und unbewohnbar werden, weil für ihre Instandhaltung keine Gelder vorhanden, Hauszinssteuerdarlehn kaum dafür zu haben sind.

Und wenn es je berechtigt war, dem Landarbeiter das eigene Heim zu schaffen, so ist es in unserer Zeit, in der wir die leeren Räume im Osten unbedingt auffüllen müssen, damit das Slaventum ringsum sie nicht einzudrücken vermag.

Es ist wohl berechtigt, daß die Allgemeinheit an dieser Stelle große Opfer bringt und dem Besitzlosen zu Besitz verhilft, wie es bisher noch nie geschehen ist. Unser Staat, der trotz seiner Verarmung die zinslosen Darlehen für Landarbeiterheime hergibt, treibt eine Politik, die wohl vor der deutschen Zukunft zu verantworten ist!

Wie schauen nun diese Darlehen aus, und was kann man mit ihnen anfangen?

Die sogenannte „Reichsheimstätten“ wird durch zinsfreie staatliche Darlehen bis 70 qm Wohnfläche gefördert, sowie bei Eigenheimen mit Inliegerwohnung, falls Eltern oder Schwiegereltern mit aufgenommen werden sollen, bis 80 qm Wohnfläche sowie insgesamt 46 qm Stall- und Scheunenfläche.

Diese Zulassung der Inliegerwohnung, die St. Bürokratius bisher nicht gestatten wollte, ist von erheblicher Bedeutung, da der Mietszuschuß den Siedler sehr entlastet. Auf hiesigem Gute stellt es sich z. B. so, daß die Eltern des Siedlers tarifmäßigen Wohnungsanspruch haben, der einschließlich Stall jährlich 80 RM. ausmacht und jetzt dem Sohne zufällt.

Die Landarbeiterwohnung muß enthalten: Eingangsflur, Wohnküche, Elternschlafstube, zwei heizbare Kammern zur Trennung der heranwachsenden Kinder nach Geschlechtern, Keller, Bodenraum, Stall, Abort und eine (in der Schreibstube erdachte!) Räucherkammer, die für den Landarbeiterhaushalt völlig überflüssig ist; denn er wird jederzeit das Geschlachtete beim Fleischer oder Nachbarn räuchern lassen können*).

*) Auf einem Nachbargute wollte man dem siedelnden Gutsbesitzer wegen fehlender Räucherkammer nicht den Bau abnehmen. Nach längeren Korrespondenzen erklärte er sich bereit, den Raum herzustellen, bat aber, ihn mit dem „grünen Tuch“ bekleiden zu dürfen, das die Behörde in dieser Sache verbraucht habe.


Sicher ist es nicht richtig, gerade zur Jetztzeit den Wohnungsstandard des Arbeiters künstlich heraufzuschrauben und ihm dafür Zinslasten aufzuerlegen, unter denen seine sonstigen Bedürfnisse leiden müssen.

Zahllose Typenzeichnungen stellt die Heimstätte dem Siedler zur Auswahl. Doch auch für uns hat es sich gezeigt, daß selbst bei dem bescheidensten Bauvorhaben ein dem individuellen Bedürfnis der Familie genau angepaßter Plan entworfen werden muß. Diese Verschiedenheit des Grundrisses gibt auch glücklicherweise reizvolle Abwechslung in der äußeren Gestaltung der Siedlung. Die Künstlerhand, die unser Gemeindehaus gebaut, macht auch die Entwürfe für die neuen Siedlerhäuser und sichert das Dorfbild vor Entstellung.

Eine erhebliche Ersparnis kann durch Selbsthilfe am Bau gemacht werden, wenn der Siedler und seine Verwandten eifrig mitarbeiten und auch sonst allerlei Beziehungen bei Beschaffung von Baumaterial und Baufuhren benutzt werden können. Man schätzt diese Möglichkeit auf 600-700 RM.

Legt man den kleinsten Typ zugrunde, nach dem ein Eigenheim errichtet werden kann (70 qm Wohnfläche, enthaltend drei Stuben, Küche und Flur) so belaufen sich die derzeitigen reinen Baukosten auf etwa 8300 RM. Hierfür werden von der Regierung gegeben, und zwar zinslos auf 30 Jahre, 6260 RM. Innerhalb der höchstzulässigen Beleihungsgrenze von 7470 RM. kann eine Hypothek von 1000 RM. aufgenommen werden, und nur der verbleibende Betrag von 1040 RM. muß bar vorhanden sein oder durch Selbsthilfe beim Bau vermindert werden. Auf Grund dieser Finanzierung ergibt sich nun folgende jährliche Belastung für den Landarbeiter:

Rate des zinslosen Tilgungsdarlehens (1/30)

Zinsen für die 1. Hypothek*) (falls von der

Landesversicherung zu 5 Prozent gewährt)

Tilgungsbetrag für die 1. Hypothek, 1 Prozent

Hierzu kommen noch Ausgaben an Grundvermögenssteuer, Feuer-

versicherung, Wegelasten, Schornsteinfegergebühren in Höhe von etwa



*) Nach neuester Verordnung kann eine Zinsverbilligung für diese 1. Hypothek zugesprochen werden, die den Zinsfuß auf 3 % herabsetzt.


Diesen Betrag von rund 25 RM. im Monat wird der tüchtige, sparsame Landarbeiter aufzubringen vermögen. Bei dem Gutstagelöhner verkürzt er sich um die Entschädigung für die nichtbenutzte Werkwohnung, bei dem Freiarbeiter um die bisher bezahlte Miete. Ferner kann die Frau durch vermehrte Viehhaltung die Mehrausgaben für Wohnung noch ausgleichen. Wie man hört, sind bisher die Zahlungen für Landarbeiterdarlehen pünktlich bezahlt worden. Auch hat der christliche Landarbeiterverband eine Genossenschaft der Siedler zu gründen unternommen, die bei Zahlungsschwierigkeiten gegenseitige Unterstützung sichert.

Dabei ist in Betracht zu ziehen, daß ja der überwiegende Teil der Lasten in Tilgungsraten besteht, die nach dreißig Jahren so hoch aufgelaufen sind, daß der Heimstätter alsdann freier Eigentümer geworden ist. Bringt der Siedler für die Gegenwart Opfer, so legt er doch einen Spartopf für seine Familie an. So sagte einer derselben: Vor zwei Jahren kaufte ich ein Rad für meine Frau, im vorigen ein Grammophon; da lege ich das Geld lieber im Eigenheim an.

Es wird oft gesagt, mit dieser Selbständigmachung löse sich der Arbeiter vom Gute. Und das mag in manchen Fällen, besonders für den Freiarbeiter, zutreffen; doch die Verpflichtung, mindestens 10 Wochen in der Landwirtschaft zu arbeiten, die dem Erwerber der Reichsheimstätte gesetzlich auferlegt ist, wird ihn voraussichtlich veranlassen, in einem festen Verhältnis zur Gutswirtschaft zu bleiben.

Auch Frau und Kinder sind als Arbeitskräfte für das Land zu rechnen, und auf jeden Fall ist der Wegzug der Familie in die Stadt aufgehalten.

Auf hiesigem Gute sind den 15 Arbeitern, die den Weltkrieg mitgemacht haben, und darnach sich zehn Jahre als Landarbeiter bewährten, ½ Morgen Bauland zugesichert worden. Doch ist keine Schenkung möglich, sondern ein Kaufvertrag mit den Siedlern erforderlich, um ein sogenanntes Unschädlichkeitsattest von der Landwirtschat zu erhalten, durch welches sich die Zustimmung der Hypothekengläubiger erübrigt. Man darf gewiß nicht glauben, daß das Siedeln ohne allerlei formelle Schwierigkeiten abgeht. Doch ein Blick in die Gesichter der jungen Menschenpaare, die den Entschluß zum Bau des Eigenheimes gefasst haben, wird jedem Volksfreunde Befriedigung gewähren. Ihr gleichgiltiges, oft mürrisches Wesen ist einer gestrafften, freudigen Haltung gewichen. Denn sie haben ein Lebensziel für sich und ihre Familien gewonnen!

Wieviel ist im Weltkriege davon gesprochen worden, daß den Tapfern, die die deutsche Scholle verteidigten, auch ein Anteil an der Heimaterde gebühre. Der Traum vom großen Siedlungswerk in Kurland zerrann, - doch wir können und wollen ein anderes Siedlungswerk innerhalb der deutschen Grenzen aufrichten, das zu ihrer Festigung beiträgt und mit dem wir zugleich ein Versprechen einlösen, das unser Volk seinen Verteidigern im Kriege gegeben hatte.

Die Photographien unserer Siedlungshäuser erhalten Sie bald, verehrter Herr Professor, und sie werden Ihnen gefallen!



Entnommen aus: „Festschrift zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. Heinrich Sohnrey am 19. Juni 1929“ Deutscher Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimtpflege, Berlin SW 11, Bernburger Straße 13

208,68 RM

  50,00 RM
  10,00 RM

  36,00 RM
304,67 RM