Brief an Heinrich Sohnrey


Lieber, verehrter Herr Professor,

wenn Sie Ihren 70. Geburtstag feiern, werden gute Deutsche in aller Welt Ihrer gedenken, und der Wünsche und Angebinde werden viele sein. Alles wird Ihnen Freude machen, und der schöne Goethespruch:


Ihr glücklichen Augen, was je ihr gesehn,


Es sei, wie es wolle, es war doch so schön!


Wird sich Ihrem Herzen froh andrängen. Aber, glaube ich etwas als die reiche Dankbarkeit aus allem Volk und jeder Landschaft könnte Ihnen noch mehr Freude machen, nämlich die Zuversicht, daß Sie im Herzen der deutschen Jugend leben. Und davon möchte, muß ich Ihnen heute berichten.


Als ich in meinen jungen Jahren noch Dorfschullehrer war, erhielt ich eines Tages die ganze Schule anvertraut, weil mein erster Lehrer unter erschütternden Verhältnissen ums Amt gekommen war. Sie können sich denken, daß meiner nun keine leicht Aufgabe wartete, besonders in der Fortbildungsschule, in der die ältesten Schüler nur wenige Jahre jünger waren als ich selbst. Ich mußte also versuchen, meine Schar von Anfang an zu bändigen. Aber was tun? Mit Kraftmeiertum war da nichts zu machen. "Suche die Herzen!" sagte eine Stimme in mir. Und das wollte ich tun. Ich trat in die Klasse, sprach ein paar kurze Worte von unserem gegenseitigen Verhältnis und sagte dann: "So, heute will ich euch eine Geschichte vorlesen, die wird euch Freude machen. Und dann denkt ihr darüber nach!"


"Der alte Schuhmacher von Hübichsdorf" hieß die Geschichte. Ach, ich wünschte, ich könnte Ihnen das Erleben der Stunde schildern, die Stille, das Lauschen, das Ergriffensein und am Ende die aufatmende Freude der Jungen! Die lärmten und tobten nun nicht nach Hause. Und als sie wiederkamen, hatte ich die Herzen und gewonnenes Spiel.


Manchmal habe ich dann noch in diesem Kreise vorgelesen, auch den "Pole Poppenspäler", vieles von Rosegger. Immer wieder kam aber die Bitte: Was von Sohnrey!


Viele Jahre danach. Ich war aus dem Krieg heimgekommen und hatte zu der Zeit, da fast alles Auflösung war, Unterricht in einer großen Mädchenklasse. Die wollte mir im Geiste nicht so recht zusammenkommen. Da las ich ihnen eines Tages die hübsche Geschichte "Wie einmal sieben Rotkehlchen geehrt wurden" vor. Und das tat, mit einer kleinen Besprechung danach wahre Wunder. Es ging zu unserer aller Freude. Wir wurden eine innerlich verbundene Gemeinschaft.


Und wenn ich heute einmal den Frühling ganz hell und lebendig in die Schulstube zaubern will, weiß ich, was tun. Ich lese der wartenden Schar die Geschichte vom "Lorenheinrich" vor. Und dann müßten Sie einmal dabei sein, wie da die Augen leuchten und schimmern und wie des Frühlings ganze bunte Glückseligkeit einzieht in die Herzen.


König im Reich der Kinderherzen! Ist das nicht das allerschönste auf Erden? Da mag man schon im Abend des Lebens stehen, man weiß, daß man seine Sendung erfüllt hat und darf ein getrostes Amen über Leben und Werk sprechen; denn es wird immer wieder auferstehen in kommenden Geschlechtern.


Dieses, lieber, verehrter Herr Professor, wollte, mußte ich heute den "Feierstunden"*) voranstellen, auch, um Ihnen zu erklären, daß dieser Raum nicht zuletzt in Ihrem Sinne geführt werden soll. Wie ein Acker sei er gebreitet; die darüberschreiten, sind Seeleute am Geist, die suchen, was Sie gefunden haben, das Herz der Menschen. Und ewig sei das deutsche Herz in uns allen, auch durch Ihr Werk!


Mit diesem Wunsche grüßt Sie Ihr dankbar ergebener Max Zeibig.


*) "für Feierstunden", die von Max Zeibig bearbeitete unterhaltende und belehrende Abteilung in jeder Nummer der Zeitschrift "Das Land".


   Heinrich Sohnrey Archiv

   und Gedächtnisstätte Jühnde